Konzertbericht

Achim Reichel

Reife Leistung zum 50.

Achim Reichel feierte in der Großen Freiheit Geburtstag

Kürzlich verriet der Popschaffende Mick Jagger, der im letzten Juli fünfzig Lenze voll machte, wie es denn nun sei, das Älterwerden. Spätabends drängte es ihn danach, in einer Videothek ein Band zu entleihen, woraufhin ihn die jugendliche Angestellte des Shops aufforderte, sich doch bitte sehr ordnungsgemäß auszuweisen, schließlich könne sie nicht jeden Kunden kennen. Unter derlei Glamour-Verlust dürfte der jetzt Fünfzigjährige vom Hafenrand nicht leiden: Erstens ist ACHIM REICHEL heute populärer denn je, zweitens hat er sich in jüngeren Tagen Pop-Ruhm nicht gerade durch ein „Wilder-Bursche-Image“ erarbeitet, welches nun dem Bild des domestizierten, gereiften Herrn weichen müsste.

Älter werden? „Warum soll man nicht auch als erwachsener Mann mit grauen Schläfen noch Musik machen? Spricht ja eigentlich nichts dagegen.“ Nein, Achim war und ist der Nette und entsprechend unaufbrausend sein Jubilar-Konzert in der Großen Freiheit: Von den Gästen (geladene geschlossene Gesellschaft) über die Halle (hübsch geschmückt) bis zur Musik (gut gegeben).

Das Leben Achims schaut aus plakatgroßen Portraits von der Balustrade hinab aufs Publikum. Achim als halbstarker Rattle mit rabenschwarzer Sonnenbrille, der Frühe-Siebziger-Jahre-Hippie im Lotussitz und Achim heute, dezent unrasiert, lächelnd – dem freundlich grinsenden Achim, Frontmann seiner Zehn-Mann-Kombo auf der Bühne, gar nicht unähnlich. Spaß hat er. Schwitzt. Tänzelt. Spielt sich freundlich grinsend durchs musikalische Schaffen, während Udo Lindenberg (47) am Treppenabsatz Schwätzchen hält, raunt routiniert den „Spieler“ (Text übrigens wie viele Reichel-Texte von Jörg Fauser), verweilt ausdauernd beim Blues, während sich Kiev Stingl (Salongröße und ebenfalls Reichel-Autor) fragt, wie so etwas überhaupt möglich ist.

Mein Daddy war'n Sailorboy und meine Mama stand am Kai, ahoi. Die war'n echtes Liebespaar, warum ich auch'n echtes Wunschkind war. Oh, oh, oh, mit 'm St. Pauli Blues. Da kommt Spaß auf und Gaststar Inga Rumpf auf die Bühne. Die Band schaukelt (allen voran die bewährte Gitarrenkraft Karl Allaut) sich hoch, und beim treuen Publikum beginnen die an der Bar eingelösten, herzförmigen Getränkebons zu wirken. Bis das Geburtstagskind dann punkt Zwölf vom versammelten Saal bejubelt wird, betonen noch die Sangesbrüder Ulrich Tukur und Joachim Witt an seiner Seite aus vollen Kehlen, dass ein Freund, ein guter Freund das beste ist, was es gibt auf der Welt. Das Catering aus der Volxküche und Achims rührend-schüchterne Nichtdankesrede standen dem in nix nach.

Wigand Koch, TAZ – 29.01.94