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Gastkolumne
Magazin "Akustik Gitarre" Ausgabe Jan.2011
Meine erste Gitarre hing bei einem Kumpel im Partykeller an der Wand. Ihre Marke war mir völlig schnurz egal, sie hatte sechs Saiten und in meiner Phantasie sah ich mich schon in verzückter Umarmung mit ihr wild, abenteuerliche Verrenkungen a’ la Elvis Presley oder den Entengang wie Chuck Berry anstellen.
Mein Verlangen nach ihr war so stark das ich ihrem Besitzer ein Tauschgeschäft anbot. Ich nannte einen batteriebetrieben Mignon-Plattenspieler mit eingebautem Lautsprecher mein eigen, den konnte man über einen seitlichen Schlitz mit Singles füttern und obwohl er mich am Elbestrand der King unserer Clique sein ließ, war ich bereit mich von ihm zu trennen. Der Deal ging über die Bühne und ich war happy. Sie gehörte jetzt mir. Meine ungestümen Annäherungsversuche sollten sich für meine Fingerkuppen zunächst als sehr schmerzhaft herausstellen. Die Braut gab sich widerspenstig, sie hatte eine Saitenlage, die es mir unmöglich machte, dass aus ihr heraus zu holen, was mir vorschwebte. Aber ich blieb hartnäckig und trug sie zu einem Gitarrenbauer. Der klärte mich darüber auf, das es gewisse Unterschiede zwischen einem Dekorationsobjekt und einem Musikinstrument gäbe, aber er machte mir auch Hoffnung. Wenn ich ihm meine hölzerne Braut bis zum nächsten Tag überließe, wollte er sein Bestes tun um zu überprüfen was in ihr steckt. Am nächsten Tag traute ich meinen Augen kaum. Sie erstrahlte nicht nur im neuen Glanz, ihre Bündchen waren geschliffen, die Mechaniken geölt, er hatte ihr neue Saiten aufgezogen und einen Elfenbeinsattel verpasst. Alles in allem war es ihm gelungen ihre wahren Werte hervor zu zaubern. Ich schloss mich mit ihr in meinem Zimmer ein, denn nun wollte ich sie doch näher kennen lernen. Ich mobilisierte mein ganzes Einfühlungsvermögen um heraus zu bekommen, ob sie bereit wäre mir unter Einwirkung von Tonika, Dominante und Subdominante das Tor zum Rock ‚n’ Roll zu öffnen und es dauerte auch gar nicht lange, da trieben wir es schon miteinander, ohne aus dem Rhythmus zu kommen. Sie war meine erste Liebe und die, vergisst man nie! Trotzdem war ich irgendwann der Meinung, es müsse eine E-Gitarre her. Mit meinem schmalen Lehrlingsgehalt eine schwierige Sache. Notgedrungen fiel meine Wahl auf eine Framus Hollywood mit Metallic-Effekt und einem verschiebbaren Tonabnehmer. Damit war das Budget ausgeschöpft und so musste ein Gitarren-Verstärker erstmal noch auf sich warten lassen. Doch Not macht erfinderisch und meine langsam erwachende Kreativität half mir aus der Patsche. Ich stellte fest, das Mutters Nordmende-Drucktasten-Radio angesteuert über den Plattenspieler-Eingang einen Poweramp erster Güte abgab. Sein magisches Auge blinzelte mir aufmunternd zu und der Glissando-Auftakt zu dem Cliff Richard-Song „Move it“ klang schon verdächtig nach Hank B. Marvin. Jetzt ging es rapide voran. Um die exakten Tonfolgen von Gitarreninstrumentalstücken zu entschlüsseln, ließ ich die Single-Platten anstelle von 45 Umdrehungen pro Minute auf 33 Upm laufen und schaffte mir so Ton für Ton von „Apache“, „Walk dont run“, „Peter Gun“ etc. rein.
Seit dem ist ein halbes Jahrhundert vergangen und all das, was einmal unerreichbar schien ist heute in Hülle und Fülle Vorhanden. Wo einst Entbehrung ist nun Qual der Wahl. Aus dem kleinen Musikshop an der Ecke ist ein MegaStore geworden. Wo einst ein halbes Dutzend namenhafte Gitarrenfabrikate standen, stehen jetzt ganze Hundertschaften. Tja und meine Framus Hollywood steht heute im Rock und Pop-Museum Gronau und träumt von Zeiten als sie noch meine einzige Geliebte war.