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Milieustudien

„Eine Ewigkeit unterwegs“ … Wie wahr! Seit den Rattles, den „deutschen Beatles“, sind eben schon ein paar Jahre ins Land gegangen. Nur gut drei Jahre hat ACHIM REICHEL gebraucht, um diese neue LP zu realisieren. Nicht im vertrauten, längst berechenbaren Hamburg. Sondern in Berlin. Im Trio mit Hansi Behrendt (Schlagzeug) und Manne Praeker (Bass). Sehr brat- und rock 'n' roll-mäßig, was Kompositions-, Arrangement- und Soundverständnis betrifft. Aber lassen wir mal Stilfragen außen vor und setzen als Spotlight stattdessen auf die Korrespondenz zwischen Musik und Texten. Und da kommt man bei REICHEL wieder mal nicht umhin, diese Stimmigkeit zwischen Tönen, Worten und Interpretation zu loben. Die Texte stammen aus den Federn der Szene verbundenen Literaten Jörg Fauser und Kiev Stingl. Atmosphärisch dichte Mini-Storys, Milieustudien vom Kiez und anderswo, Geschichten vom Suchen, Finden und Verlieren in voller Bandbreite, mit allen erdenklichen Variationen. Liebesgeschichten in Rauch geschwängerter Kneipenluft. Fernweh in der steifen Brise unten im Hafen. Geheime Wünsche. Rituale. Und mehr. Zur Entdeckung freigegeben.

Detlef Kinsler
Achim Reichel: Eine Ewigkeit unterwegs (wea) Auftritt – Oktober 1986


ACHIM REICHEL

Eine Ewigkeit unterwegs

Fakten: Er ist einer der ganz wenigen deutschen Rockmusiker der ersten Stunde, die nach über zwanzig Jahren noch erfolgreich aktiv sind. Nach etlichen Rattles-LP's und einem längeren Ausflug in die Gefilde der elektronischen Klänge mit „A.R. & The Machines“ legt er sein achtes Solo-Album vor. Musikalische Unterstützung bekommt REICHEL diesmal von seinen Berliner Freunden wie Spliffer Manne Praecker (E-Bass/Tasteninstrumente) und Ex-Idealist Hansi Behrendt (Schlagzeug).

Kritik: Wie bereits bei seiner letzten Langrille „Nachtexpress“ vertont REICHEL auf seinem neuen Album vornehmlich Texte des Berliner Autoren Jörg Fauser (mit Ausnahme von drei Stücken, die Kiev Stingl beisteuerte). Eine Verbindung, die zu reifen musikalischen Resultaten führt. Fausers gelungene Mischung aus Fernweh, leichter Melancholie und Milieu-Lyrik hat in ACHIM REICHEL einen kongenialen Interpreten, der es versteht, die jeweilige Stimmungen mit viel Einfühlungsvermögen und der richtigen musikalischen Mischung nachvollziehbar zu machen. Man merkt, dass die Scheibe in aller Ruhe und mit viel Liebe entstanden ist, denn hier handelt sich es um einen jener raren Glücksfälle deutschsprachiger Musik, für die man meist eine Ewigkeit unterwegs sein muss, um sie zu entdecken. Keine Platte für Fast-Food-Fans, sondern für all diejenigen, die bewusstes Zuhören noch nicht verlernt haben.

Ingo Engelhardt
Musikszene – November 1986


Achim Reichel

Eine Ewigkeit unterwegs

Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Diese chinesische Weisheit passt gut als Motto für ACHIM REICHELs Biographie. Ein Beispiel: Während die Punk-Welle ihren Wort fetzenden Neodadaismus in die Mikros schnauzte, entdeckte der Hamburger Einzelgänger Goethe und andere Balladendichter früherer Jahrhunderte als Rock-Poeten. Knapp zehn Jahre später schmieden die Lohnschreiber der Musikverlage wieder aalglatte Reime – REICHEL nutzt lieber die sperrigen Zeilen eines Jörg Fauser und Kiev Stingl als Vorlage für seine neue LP. Eingängige Hits wie „Der Spieler“ sind darauf nicht zu finden. Denn auch musikalisch lässt der Sänger mit dem Faible für Rock & Lyrik keine falsche Romantik aufkommen. Die sparsame Instrumentierung verzichtet auf Synthesizer-Wohlklänge, der Sound klingt angenehm spröde. Als Vokalist beweist REICHEL mal wieder, er könnte auch ein Telefonbuch effektvoll interpretieren. Gedichte, denen man anmerkt, dass Fausers und Stingls Worte eher an ein lesendes Publikum gerichtet sind, werden durch seinen Gesang zu Hörerlebnissen. Mancher Sprecher würde mit derartigem Textmaterial selbstquälerisch klingen. Aber REICHEL zeigt, vor allem bei „Steaks, Bier und Zigaretten“ (Stingl), es gibt keine unsingbaren Texte. Ein Schlagerproduzent, der dieses immer noch behauptet, muss sich nun endgültig vergleichen lassen mit jenen toten Fischen, die ein altes chinesisches Sprichwort erwähnt.

Interpretation: gut
Klangqualität: gut
Fertigung: gut
Repertoirewert: befriedigend
Aufnahme: 1986

Winfried Dulisch
Stereoplay – November 1986